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Kurzgeschichten

Drei Geschichten mit "Kowalski":


Alter ist nur eine Zahl

Sie schrieb viele SMS und E-Mails und zeigte ihm, wie man sich ein Internet-Profil zulegt: „Posten“, sagte sie dazu, wenn sie was ins Netz stellte. Und Kowalski erfuhr zum ersten Mal - er war jetzt Anfang vierzig - wie sich ein Kuss mit Zungenpiercing anfühlt. Und es fühlte sich wunderbar an, stellte er fest.

Vor dem ersten Kuss war ihr diese gewisse Röte ins Gesicht gestiegen, denn Kowalski hatte ihr gerade ein Kompliment gesagt. Sie war ja auch wirklich jung und hübsch und liebenswert. Sommerabend im Biergarten eines Restaurants, laue Luft und einander anlächelnd, immer weitere Gemeinsamkeiten feststellend, neigte er sich zu ihr, umarmte - und küsste sie. Und sie küsste ihn.

Kowalski war richtig verliebt! Über den Altersunterschied dachte er nicht nach - es war einfach so passiert. Vielleicht guckten einige zweimal, um sich zu vergewissen, dass sie ein Paar waren, wenn sie Hand in Hand durch die Stadt gingen. Vielleicht wunderten sich einige Freunde von ihr oder von Kowalski angesichts der siebzehn Jahre, die zwischen ihnen lagen. Doch wer Kowalski mit seiner jungen Freundin sah, nahm ziemlich schnell wahr, dass sie glücklich miteinander waren.

Einzig anders Kowalskis Ex: Die rief einmal spätabends an - Kowalski war soeben nach einem wunderbaren Abend mit seiner Liebsten eingeschlafen - und wollte fragen, wie es ihm so gehe. Einwenig schlaftrunken und im Zustand seiner absoluten Verliebtheit sagte er ins Telefon: „Ich bin gefühlsmäßig gerade ganz anders drauf“, und sie solle sich doch ein anderes Mal melden. Schließlich hatten sie sich nach der lange Monate zurückliegenden Trennung auf ein freundschaftliches Miteinander geeinigt.

Schnell offenbarte sich Kowalski jedoch der Grund ihres Anrufs: Seine Ex musste von ihm und seiner jungen Liebsten erfahren, beide vielleicht sogar gesehen haben. Sie war offenkundig eifersüchtig. Als er ihr die Liebschaft bestätigte, legte die Ex los, schrie was ins Telefon von wegen „geiler Bock, der auf Jüngere steht“ und so weiter und knallte den Hörer auf, noch bevor Kowalski irgendetwas hätte antworten können.

Mit dem Alter ist das so eine Sache...“, dachte sich Kowalski dann, als er nächstentags in der Zeitung unter der Rubrik „Aus aller Welt“ las, eine 63jährige Spanierin habe Zwillinge geboren. Außerdem, so las er, habe eine 89jährige Deutsche kürzlich fünfzig Autoreifen zerstochen.

Menschen, die 63 oder 89 Jahre alt sind, haben Asthma, gehen am Stock und haben schlechte Augen oder sind schon tot - auf jeden Fall sind sie alt, hatte er als Kind immer gedacht. Wenn aber dieser Tage eine 89jährige Omi Autoreifen zerstach aus welchem Grund auch immer, dann musste sie auf jeden Fall viel Kraft und den Willen eines autonomen Steineschmeißers haben. Kowalski versuchte sich das soeben vorzustellen, wie sie die 50 Autos entlang stach, und er folgerte: „Mit dem Alter ist das wirklich so eine Sache...:

Schleichend nähert sich dir das Alter auf ganz subtilen Wegen; nicht etwa durch Rheuma, Gicht oder morgendliche Rückenschmerzen - das haben heute doch schon Kinder!

Wenn du nicht weißt, wie du ein Musikstück illegal aus dem Internet runterladen kannst, wenn ‚Download‘ ein Fremdwort für dich ist, wenn du keine Lust mehr auf Parties hast, weil sie viel zu spät überhaupt erst anfangen, wenn der neue James-Bond-Darsteller auf einmal viel jünger ist als du selbst und wenn dir die Bands aus den Charts nichts, aber auch gar nichts mehr sagen und dir das alles gleichzeitig auch noch völlig egal ist, dass das jetzt so ist und du deinen einzigen MP3-Player, den du als Dankeschön fürs Abonnieren der ‚FAZ‘ bekommen hast, auch noch beim Sonntagsspaziergang verschenkst, weil du ihn sowieso nicht bedienen kannst - dann wird’s nicht mehr lang dauern und sie fragen dich an der Museumskasse nach dem Rentnerausweis (ins Kino gehst du eh schon lange nicht mehr, denn du gehörst nicht mehr zur Zielgruppe). Ruhestand und Alter klopfen an die Tür und werden bald ungefragt eintreten.“

Gut, überlegte Kowalsi, der neue James-Bond-Darsteller war etwas jünger als er selbst, doch mit Downloads und MP3-Playern kannte er sich wirklich aus und das mit „MySpace“ hatte ihm seine junge Freundin gezeigt. Außerdem erwog Kowalski, sich ein E-Book zuzulegen. Alter war eben nur relativ.

Gerade, als er in der Zeitung einen Kommentar zu der Reifen zerstechenden Omi las, in dem vorgeschlagen wurde, man solle die Greisin zu Sozialstunden in einem Altenheim verdonnern und gerade, als Kowalski sich ausmalte, wie die Omi den wirklich Alten den Hintern abwischt und droht: „Ich kann halt noch kraftvoll zustechen“, da klingelte das Telefon und Kowalskis Ex war wieder dran. Kowalski regte sich auf angesichts wirrer Unterstellungen nahe am Vorwurf der Pädophilie, besann sich aber bald und fragte angesichts seiner soeben entwickelten Alters-Relativitätstheorie: „Hast du eigentlich dieser Tage von der 63jährigen Spanierin mit den Zwillingen gehört und der 89 Jahre alten Deutschen, die...“-

Weiter kam Kowalski nicht. Diesen Gedankensprung konnte die Ex wohl nicht nachvollziehen, fragte: „Bist du bekloppt?“, und legte auf.


Endlich Ruhe!“, meinte Kowalski und lehnte sich zufrieden zurück, um eine Gute-Nacht-SMS seiner Liebsten zu lesen.

Und er dachte an Downloads und an die Omi mit den Autoreifen und an Küssen mit gepiercter Zunge - und Kowalski war umso mehr überzeugt: Alter ist nur eine Zahl.

 

Beschleunigte Zeit

Kowalski war aufgefallen, dass seit einigen Jahren das Wort „zeitnah“ in Gebrauch gekommen war. Er fand den Begriff ziemlich blöde, weil die Zeit ja immer da ist. Und Nähe ist räumlich und nicht immer da. „Zeitnähe“ war also Unsinn. Man kann eine Sache nicht „zeitnah“ erledigen, sondern bestenfalls „bald“! So hatte man das früher gesagt.

Gut“, überlegte Kowalski: „Ich gehöre mittlerweile zur ‘Ü-40-Gruppe‘. Auch so’n blöder Begriff,“ fand er, aber das war nun mal so und so sagte man das jetzt: „Und je älter einer wird, desto schneller vergeht die Zeit. So kommt es den meisten jedenfalls vor.“

Als Kind wartete man eine gefühlte Ewigkeit im Advent auf den 24. Dezember und sechs Wochen Sommerferien waren wahnsinnig lang. Heute raste der Dezember nur so dahin mit all der vorweihnachtlichen Hektik und der Sommer war war schon vorbei, kaum dass er begonnen hatte, bald fielen die ersten Herbstblätter, bei Aldi gab’s schon Christstollen und jegliche Erholung war futsch wegen der ersten Erkältungswelle.

So empfinden das viele von wegen der Zeit, dachte Kowalski. Und er stellte weitere Überlegungen an, denn da war noch mehr als bloß die gefühlte Zeit, die schneller vergeht, je älter einer wird - sondern auch die beschleunigte: Die Zeit, die sich die Menschen hier selber schneller machten.


Da passierte Kowalski etwas sehr Ernsthaftes: Ein ihm nahestehender Mensch hatte sich vor ‘nen Zug geworfen, ein anderer war schwer krank geworden und jemand hatte Anzeige gegen ihn erstattet wegen irgendwas.

Deshalb brauchte er Zeit und ließ einmal Handy Handy und E-Mails E-Mails sein, um mal zwei Tage in Ruhe über alles nachzudenken. „Warum hat der sich vor’n Zug geschmissen? Wann ist der Krankenbesuch für alle Beteiligten am günstigsten? Und was sage ich bei der Polizei?“, fragte sich Kowalski und erkannte, dass er in den ersten zwei Fällen ziemlich wenig machen konnte. Für seine Aussage wegen der Anzeige fertigte er sorgfältig Notizen an.

Kaum schaltete er sein Handy wieder an, war Kowalskis SMS-Speicher voll: „Hey, lebst Du noch?“, stand da unter anderem.

Ja“, simste er zurück: „ICH ja. LG.“

Bin doch nicht tot, nur weil ich 36 Stunden lang nicht gesimst habe“, dachte er: „Hättet notfalls auch auf Festnetz anrufen können!“

Das Gleiche beim E-Mail-Check: „Warnung! Ihr Speicherplatz ist überschritten!“

Er klickte hauptsächlich auf „Löschen“, „Löschen“ und nochmal „Löschen“ und löschte zahlreiche Unwichtigkeiten, um schließlich festzustellen, dass er sieben neue Freunde auf „MySpace“ hatte.

Gut, Ihr lieben virtuellen Freunde: Hauptsache, Ihr habt Euch nicht vor’n Zug geworfen, ‘nen Tumor gekriegt oder Anzeige gegen mich erstattet, nur weil ich 36 Stunden offline war!“, meinte Kowalski ziemlich genervt.

Denn so war das eben in jener beschleunigten Zeit: Jeder dachte, jede SMS und jede Mail müssten „zeitnah“ beantwortet werden, jeder andere müsste ständig erreichbar sein und jeder war selbst auch ständig erreichbar, und das beschleunigte nunmal die Zeit. Knapp zwei Tage nachdenken war kaum mehr denkbar: das war - im Gegenteil - m e g a o u t !

Es hatte mal andere Zeiten gegeben, erinnerte sich Kowalski, da hatte man über eine einzelne Folge einer Fernsehserie eine Woche lang nachdenken und die Folge der nächsten Woche herbeisehnen können (oder eben auch nicht). Heute war jeder Scheiß täglich anzusehen und die Kommentare der Zuseher erschienen „zeitnah“ im Internet. Früher hatte vielleicht mal einer ‘nen Leserbrief an die „Hörzu“ geschrieben wegen Fernsehen.

Das wäre auch alles nicht so schlimm, erwog Kowalski nun, wenn die beschleunigte Zeit nicht schon Einzug in die Politik gehalten hätte. Während der Altkanzler noch einen tiefen Zug von seiner Zigarette genommen, bevor er einen durchdachten Satz von sich gegeben hatte, waren heute nur Politiker-Halbsätze zu hören, die „zeitnahe“ Lösungen versprachen - wenn etwa die Pisastudie feststellte, dass die lieben Kleinen kaum was schreiben und rechnen konnten, verkündete die Schulministerin „zeitnah“ - also am nächsten Tag - ihren Gesetzentwurf zur Einführung von Ganztagsschulen.

Weil sich die Kinder und Teenies aber auf Dauer langweilten, wenn sie den ganzen Tag in der Schule verbringen mussten und manche von ihnen das gar nicht aushielten, liefen ab und zu welche Amok. „Zeitnah“ entwarf dann das Ministerium einen Notfall- und Sozialpädagogenplan, während die lieben Kleinen - auch „zeitnah“ - ihren nächsten Amoklauf schon im Internet angekündigt hatten. Das konnten die nämlich - trotz Pisastudie.

Und die FDP (über die lag noch keine Pisastudie vor) erklärte sich nach der Bundestagswahl wegen 15 Prozent der Stimmen „zeitnah“ - also am nächsten Morgen - zur Beinahe-Volkspartei. Bei einer Wahlbeteiligung von gut 70 Prozent sollten die besser mal Rechnen üben, folgerte Kowalski.

Und als er noch genauer darüber nachdachte, was in der beschleunigten Zeit alles so „zeitnah“ gemacht wurde, da konnte er sich’ne ganze Menge an Unsinn, der den Menschen so vorgesetzt wurde, erklären: Praxisgebühr und Dosenpfand, Hartz 4 und Managergehälter und RTL und Stefan Raab und „Wetten, dass..“ - und global gesehen, dass sich die halbe Welt mit vielen Soldaten in Afghanistan aufhielt: Nachdem zwei Hochhäuser in New York mit vielen Menschen drin kaputtgeflogen worden waren, hatte man natürlich „zeitnah“ was unternehmen müssen. Die Sache in Afghanistan dauerte indes merkwürdig lange an, angesichts der beschleunigten Zeit, sorgte sich Kowalski.

Dagegen lobte er die deutsche Verwaltung: „Auf die ist Verlass, die lassen sich Zeit!“, beruhigte er sich, als der Brief wegen der Anzeige gegen ihn endlich eintraf. Denn nachdem der Sich-vor-den-Zug-Schmeißer bestimmt schon halb verwest, der schwer Kranke mittlerweile in die dritte Runde Chemotherapie gegangen und die FDP regierungsbeteiligt war, kam endlich dieser Brief von der Staatsanwaltschaft wegen der Anzeige gegen Kowalski. Auf den hatte er nämlich so ungeduldig gewartet wie als Kind auf den 24. Dezember.

Kowalski las nochmal den Brief: Das Verfahren war unbeschleunigt und für alle Zeiten eingestellt worden.

Und schließlich veröffentlichte er dieses Ergebnis „zeitnah“ - also sofort - auf seiner Homepage im Internet.


Grenzerfahrung

Es muss im Sommer 1988 gewesen sein, überlegte Kowalski, der soeben im Fernsehen einen Bericht über den zwanzig Jahre zurückliegenden Mauerfall ansah.

Mehrere Gänge und Türen, durch die Reisende für den Tagesbesuch geschleust wurden, getaucht in kaltes Neonlicht und überwacht von Kameras und Grenzpersonal in grauen Hemden - Übergang Friedrichstraße. Er, Kowalski, damals noch keine Zwanzig und gerade Abitur gemacht, hatte sich in die Warteschlange eingereiht, seinen Ausweis bereithaltend. Rechts vor ihm der Schalter mit der Glasscheibe, hinter der ein Uniformierter saß, um Papiere zu kontrollieren, zu stempeln und West- in Ostgeld umzutauschen. Der sah in die Ausweise, blickte ernst die Gesichter der Menschen an, die vor ihm standen, und irgendwann stempelte er und gab das Dokument an die Reisenden zurück. Gleich war Kowalski dran: nur noch eine Frau vor ihm, etwa Mitte dreißig, mit schulterlangem dunkelbrauem, leicht lockigem Haar. Sie hatte ein rötliches Sommerkleid getragen, erinnerte er sich jetzt.

Der Grenzer blickte lange auf ihren Ausweis, dann wieder sah er sie an. Er blätterte in den Papieren. Wollte sie einen guten Bekannten, Verwandte oder gar einen Liebhaber besuchen? Sie wirkte voller Erwartung. Sie hatte sich hübsch gemacht.

Mehrmals war Kowalski nach Ost-Berlin gefahren: Achtziger Jahre. Reisen in einer Jugendgruppe in die geteilte Stadt. Obligatorische Besichtigung des Reichstages, des Brandenburger Tores mit Mauer, des Checkpoints Charly. Und Gedächtniskirche und Kurfürstendamm mit Café Kranzler. Dann zwischendurch eben dieser Tagesbesuch in Ost-Berlin. Übergang Friedrichstraße, um sich den Ausweis abstempeln zu lassen für 25 Mark, „Zwangsumtausch“ genannt: 25 Mark West gegen 25 Mark Ost. Ostgeld durfte man nicht wieder mit zurücknehmen. Kowalski pflegte es hauptsächlich in Klaviernoten und Bücher umzusetzen, die waren im Vergleich zum Westen unglaublich günstig.

Warum dauerte das jetzt so lange?

Mit einer dem jungen Kowalski unfassbar erscheinenden Geduld blätterte der Grenzer in dem Ausweis der Frau vor ihm. Dann stand er plötzlich wortlos auf, verließ den kleinen neonbeleuchteten Kontrollraum nach hinten - die Frau mit dem rötlichen Kleid vor Kowalski wurde merklich aufgeregter - um dann in Begleitung dreier weiterer Uniformierter alsbald zurückzukehren. Allesamt mit sehr ernstem, strengem Blick. Anspannung währenddessen bei den Wartenden. Die Vier sichteten nochmals abwechselnd das Dokument, sie blickten stumm auf die Papiere und dann wieder auf die Frau; vor allem einer, welcher der Vorgesetzte zu sein schien. Kowalski wartete hier schon über eine halbe Stunde hinter dieser Frau, die so lange kontrolliert wurde. Die Grenzer tuschelten ab und zu einwenig untereinander. Eine merkwürdige Schwäche stieg dabei in Kowalskis Knie und er trat auf den Füßen herum, die Szene vor ihm beobachtend.

Unvermittelt dann ein kurzer Augenblick völliger Stille. Der Vorgesetzte unter den Grenzern trat an die Glasscheibe hervor, legte den Ausweis der Mitdreißigerin in die Durchreiche unter jener Glasscheibe und verkündete in bestimmendem, militärisch durchdringendem Tonfall: „Die Einreise in die Deutsche Demokratische Republik wird Ihnen hiermit verweigert.“ - Punkt. Keine Begründung. Schweigen. - Nur dieser mächtige Satz hallte einem ins Hirn.

Die Grenzer verließen allesamt den Kontrollraum. Gleichzeitig lief die Frau mit wutenttäuschtem Gesicht zurück: Einreise verweigert, kein Besuch. Kowalski erkannte erste Tränen in ihren Augen, als sie zurücklief und ihr rötliches Sommerkleid ihn leicht streifte.

Und er spürte sein Herz schlagen, als er dann endlich zur Ausweiskontrolle kam. Eine aufgeregte Uniformierte entschuldigte sich, stempelte zügig ab und wünschte Kowalski einen guten Aufenthalt. Sie hatten den Grenzer gegen eine Grenzerin ausgetauscht, welche jetzt seinen Geldumtausch vergaß. Was hatte diese Kontrolleure bloß so verwirrt, die eben jener Frau die Einreise verweigert hatten? Kowalski blickte kurz nach oben auf die Überwachungskamera, überlegte nicht wirklich und sagte ehrlich, er müsse doch noch 25 Mark eintauschen. Die Grenzerin bedankte sich mehrmals, lächelte überaus freundlich und wünschte ihm einen besonders guten Tag.

Zügig erledigte er die Klaviernoten- und Bücherkäufe, aß irgendwas in einer Art Schnellrestaurant, um alles Ostgeld auszugeben, schenkte einer Klofrau, die sich überaus dankbar zeigte, das Restgeld und Kowalski beeilte sich, zurückzukommen zum Übergang Friedrichstraße.


Wieder die Gänge und Türen, durch die Tagesbesucher geschleust wurden, alles getaucht in neonkaltes Licht und von Kameras überwacht. „Der hat ja Angst“, meinte ein etwas älterer der patroullierenden Grenzer in den grauen Hemden in den kalten Gängen an der Friedrichstraße und kam wohlwollend auf den jungen Kowalski zu. Selbstsicherheit vorgebend schüttelte jener den Kopf und sagte wohl auch irgendwas, an das er sich jetzt nicht erinnern konnte. Kowalski musste bleich gewesen sein. Bleich aufgrund diffuser Befürchtungen angesichts der bevorstehenden Grenzkontrolle.

Denn seine Gedanken kreisten noch immer um die Frau vor ihm im rötlichen Kleid, die vielleicht einen guten Bekannten, Verwandte oder gar einen Liebhaber hatte besuchen wollen. Und der Satz des vorgesetzten Grenzers, der ihre Hoffnungen enttäuscht und ihr deshalb Tränen in die Augen getrieben hatte, klang ihm immer noch - noch sehr lange - in der Erinnerung nach: „Die Einreise in die Deutsche Demokratische Republik wird Ihnen hiermit verweigert.“


©hristian F. 2009


Weitere Infos zu Selbstgeschriebenem bei der Autorengruppe sem;kolon unter:

www.muenster.org/semikolon




 


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